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THE DIGITAL EXPERTS

23.01.2024

Konfigurationsmanagement als Weg von ETO zu CTO(+)

Die Transformation von ETO (Engineer-to-Order) zu CTO (Configure-to-Order) bzw. CTO+ (Configure-to-Order mit Engineer-to-Order Anteilen) gilt bei vielen Unternehmen als Weg in die Zukunft.

ETO und CTO+ – eine kurze Beschreibung

Unter ETO (Engineer-to-Order) versteht man eine Produktionsansatz, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die Konstruktion erst nach erfolgter Beauftragung beginnt. Dadurch sind die auftragsspezifischen Anforderungen zu Auftragserteilung nicht vollständig bekannt, es erfolgt aber eine grobe Abstimmung zur Bid-Phase. Ein Großteil der Konstruktionstätigkeit ist also nach Auftragserteilung zu leisten. Der ETO Ansatz zeichnet sich durch einen hohen Individualisierungsgrad des Produktes für den Kunden aus.

Unter CTO+ (Configure-to-Order Plus) versteht man einen Produktionsansatz, der dadurch gekennzeichnet ist, dass für einen Auftrag ein standardisiertes, variantenreiches Produkt auf die Anforderungen des Kunden hin konfiguriert wird. Die Konstruktionstätigkeit erfolgt dabei für das Standardprodukt vor Auftragserteilung. Im CTO ist die Individualisierung auf die Varianten des Produktes begrenzt. Der Plusanteil („+“) im CTO+ wiederum beschreibt den ETO Anteil in einem CTO Auftrag (bspw. Materialzuführung oder Fundamente).

Abbildung 1: Unterschiedliche Auftragsabwicklung bei ETO und CTO+
Abbildung 1: Unterschiedliche Auftragsabwicklung bei ETO und CTO+

Wieso ist das so?

ETO birgt viele Risiken für das Unternehmen:

  • Hohes Konzeptrisiko: Durch die hohe Komplexität vieler Produkte können während der Konstruktion konzeptionelle Fehler entstehen, die erst sehr spät (zu spät) entdeckt werden.
  • Hoher Kundeneinfluss: Der Kunde diktiert durch den totalen Individualisierungsgrad oft nicht nur die Eigenschaften des Produktes, sondern gibt auch Bedingungen für den Entwicklungsprozess und die Projektabwicklung vor. Das Unternehmen muss sich an diese Bedingungen für jeden Kunden neu anpassen können, um Aufträge zu erhalten.
  • Hohe interne Kosten: Ein hoher personeller Aufwand vor allem in Konstruktion, Dokumentation und Projektmanagement erhöhen die Gesamtkosten und drücken die Marge. Diese Kosten fallen als Einmalkosten an.
  • Wettbewerbsfähige Preise: die hohen internen Kosten führen zu hohen Verkaufspreisen für die Produkte. Diese Preise müssen auch von den Kunden bezahlt werden können.

Dem gegenüber steht die Möglichkeit der totalen Individualisierung des Produktes für den Kunden im ETO.

CTO(+) bietet dem Kunden nur noch einen Teil an Individualisierung. Es kann eine scheinbare Individualisierung über die Konfiguration (CTO) und eine reale Individualisierung (+) erfolgen. Die reale Individualisierung ist aber eingeschränkt um CTO+ erfolgreich durchführen zu können:

  • Die Individualisierung darf nur einen kleinen Teil des Gesamtproduktes ausmachen.
  • Die Individualisierung darf nur an bestimmten Stellen des Produktes vorkommen (bspw. Materialzuführung).
  • Die Individualisierung darf nur nach vorgegebenen Bedingungen erfolgen.

Wenn wir nun die Risiken von ETO auf CTO übertragen, kommen wir zu folgendem Ergebnis:

  • Hohes Konzeptrisiko im ETO: Durch die Verwendung von Standardbausteinen reduziert sich das Konzeptrisiko im CTO deutlich. Die Individualisierung ist begrenzt und begrenzt damit auch deren Konzeptrisiko.
  • Hoher Kundeneinfluss im ETO: Der Einfluss des Kunden, vor allem auf den Entwicklungsprozess, die Dokumentation sowie das Projektmanagement, wird im CTO zurückgedrängt. Es wird mit Standardbausteinen mit bestehender Dokumentation und bestehendem Vorgehen gearbeitet.
  • Hohe interne Kosten im ETO: Durch die Verwendung von Standardbausteinen werden die Kosten auf mehrere Aufträge verteilt, wodurch die durchschnittlichen Kosten im CTO sinken. Durch den geringeren Kundeneinfluss werden in der Entwicklung, der Dokumentation sowie dem Projektmanagement ebenfalls Kosten durch standardisierte Abläufe eingespart.
  • Wettbewerbsfähige Preise im ETO: Die Gesamtkosten des Produktes fallen im CTO deutlich. Der Preis wird trotz der geringeren Individualisierung attraktiver für den Kunden.

Der Kunde erhält also weniger Möglichkeiten der Individualisierung des Produktes, erhält dafür aber einen günstigeren Preis und ein geringeres Konzeptrisiko.

Das ist alles recht abstrakt. Ein Beispiel aus einem, zumindest zu einem Teil, bekannten Gebiet vereinfacht das Prozessverständnis: Anzüge.
Eine kurze Google Suche nach den Kosten für verschiedene Herstellungsarten für Anzüge bringt folgendes Ergebnis:

  • Ein Anzug von der Stange rangiert im gehobenen Preissegment bei etwa 500 Euro (MTS).
  • Ein Anzug nach Maßkonfektion liegt bei etwa 1.000 Euro (CTO).
  • Ein Maßanzug dagegen kostet zwischen 3.000 und 6.000 Euro je nach Material und Ausführung (ETO).

An diesem einfachen, reduzierten Beispiel können wir bereits die Kosten der Individualität und die Vorteile der Standardisierung ablesen.

Wie ist es möglich von einer ETO getriebenen Organisation zu einer CTO getriebenen Organisation zu kommen?

Hier kommt das Konfigurationsmanagement ins Spiel. Das Konfigurationsmanagement ist nach Marcus Grande „100 Minuten für Konfigurationsmanagement“ eine Managementdisziplin zur Herstellung und Erhaltung einer Übereinstimmung der Produktleistungen sowie der funktionalen und physikalischen Eigenschaften des Produktes.

Wichtig ist zu verstehen: Konfigurationsmanagement ist hier nicht mit Variantenkonfiguration zu verwechseln. Das Konfigurationsmanagement verwaltet nicht die Varianzmöglichkeiten und deren Herleitung eines Produktes, sondern eine konkrete Ausprägung (Hersteller) oder eine konkrete Soll-Ausprägung (Betreiber). Diese konkrete Ausprägung nennt man Konfiguration. Die Konfiguration ist also eine Momentaufnahme eines Produktes zu einem bestimmten Zeitpunkt mit allen funktionellen und physikalischen Eigenschaften.

Maximilian Böttge - Profit Center Leiter PLM, BDF EXPERTS

Max_Jackett

Dabei hat das Konfigurationsmanagement folgende Aufgaben:

  • Definition: Vorgabe der Rahmenbedingungen zur Dokumentation der Konfiguration (Konfigurationsmanagement-Planung)
  • Integrität: Gewährleistung der Integrität des Produktes mittels Soll-Definition und Ist-Überwachung (Konfigurationsidentifikation, Konfigurationsaudit)
  • Reproduzierbarkeit: Reproduzierbarkeit von früheren Konfigurationsständen (Konfigurationsbuchführung)
  • Transparenz: Darstellung von Unterscheidungen zwischen Konfigurationen zu verschiedenen Zeitpunkten (Änderungstransparenz, Änderungslenkung)

In der Regel werden durch das Konfigurationsmanagement im Produkt Konfigurationseinheiten (oder auch Artefakte) definiert. Eine Konfigurationseinheit kann dabei das ganze Produkt, aber auch ein einzelnes Bauteil oder alles dazwischen sein. Die Konfigurationseinheit bildet ein Produkt in seiner Gänze ab. Sie beschränkt sich also nicht auf die reine Materialsicht (vergleichbar mit einem Materialstamm im SAP), sondern enthält dessen Dokumentation, historische Stände (Baselines), eingeflossene und laufende Änderungen sowie Verwendungen in Aufträgen und Informationen zum physischen Repräsentanten (bspw. das SAP Equipment).

Mittels der Konfigurationseinheit lässt sich der Form-Fit-Function Korridor transparent abbilden. Der Form-Fit-Function Korridor, den Begriff prägte Prof. Dr. Jörg W. Fischer vom Steinbeis-Transferzentrum für Rechnereinsatz im Maschinenbau (Form Fit Fuction Korridor - Jörg was machst du), beschreibt die Revisionsmöglichkeiten der Konfigurationseinheit aus den Sichten der beteiligten Stakeholder.

FFF wird oft aus Sicht der Konstruktion definiert, was gerade im Service zu Problemen führt. Ein Beispiel dafür: Ein Zukaufteil mit definierten Anschlüssen kann bei Revision durch den Lieferanten aus Sicht der Konstruktion weiterhin FFF sein, wenn sich dessen Bestandteile zwar ändern, die Anschlüsse, Funktion und Bauform sich dabei aber nicht verändern. Aus Sicht des Service kann es sich dabei aber sehr wohl um eine FFF Abweichung handeln, da andere Ersatzteile für dieses Zukaufteil nun relevant sind. Eine genaue Definition sowie Überwachung der Einhaltung des Revisionsprozesses eines Bauteils bzw. einer Baugruppe ohne aktiven Eingriff in den selbigen ist durch eine übergreifende Instanz hier sehr hilfreich (à Stabsstelle Konfigurationsmanagement).
Im ETO wird das Teil oft nur ein einziges Mal für einen Auftrag definiert und verwendet, im CTO wird das Teil in verschiedenen Aufträgen wiederverwendet, daher ist die Sicht auf den gesamten FFF Korridor hier essentiell. Eine übergreifende Instanz, die die Verantwortung für eine Konfigurationseinheit hat, fördert die korrekte Einordnung im FFF Korridor über den gesamten Lebenszyklus.

An welcher Stelle kann das Konfigurationsmanagement helfen?

Mittels der Definition, Erzeugung, Pflege und Dokumentation der Konfigurationseinheit können ETO Bauteile, Baugruppen und Produkte in Einheiten übersetzt werden, die im CTO zur Konfiguration verwendet werden können. Die zuvor in ETO erstellten Konfigurationseinheiten können dadurch zu einem neuen Produkt innerhalb des CTO Prozesses zusammengesetzt und um ETO Anteile ergänzt werden (die wiederum ebenfalls zu CTO fähigen Einheiten werden können). Dabei hat das Konfigurationsmanagement nicht nur die konstruktive Sicht in Bezug auf FFF im Blick, sondern den gesamten Lebenszyklus der Konfigurationseinheit. Dadurch begleitet das Konfigurationsmanagement die Überführung von ETO bezogenen Einheiten zu CTO fähigen Einheiten, fördert die Stabilität der für das CTO relevanten Einheiten und stellt deren korrekte Revisionierung sicher.
Das Konfigurationsmanagement kann also aktiv den Schritt von ETO zu CTO unterstützen.

Liegen die Vorteile nur beim Unternehmen oder profitiert auch der Kunde?

Zuerst könnte man denken, dass durch den Schritt von ETO zu CTO+ der Kunde verliert. Er muss schließlich die Möglichkeit der totalen Individualisierung aufgeben. Dass dem nicht so ist, haben wir oben schon kurz angerissen. Das Konfigurationsmanagement bringt aber auch hier zusätzliche Vorteile mit. So hat es die Überwachung der Dokumentation des Produktes zur Aufgabe. Gerade bei Unternehmen mit hoher Komplexität, hohem konzeptionellen Risiko und schwerwiegenden Folgen bei Ausfall bzw. im Fehlerfall ist eine vollständige Dokumentation essentiell und deshalb das Konfigurationsmanagement heute schon in diesen Branchen Standard bzw. sogar rechtlich verpflichtend (bspw. Eisenbahnen, Militär, Luftfahrt). Dadurch ist die Dokumentation der standardisierten Konfigurationseinheiten in der Regel deutlich professioneller und deutlich umfangreicher abgebildet als bei vergleichbaren ETO Projekten. Der Kunde erhält also eine vollständige, inhaltlich korrekte und die zu seinem Produkt passende Dokumentation. Das übliche Ping-Pong bzgl. Dokumentationsunterlagen und -versionen zwischen Unternehmen und Kunden entfällt.
Neben der Dokumentation erhält er einen standardisierten Ablaufprozess bei Änderungen, der auf den für ihn relevanten Konfigurationseinheiten aufsetzt. Änderungen während der Projektabwicklung (bspw. durch notwendige Revisionen zu Standardprodukten) oder während der Gewährleistungs- und Betriebsphase (bspw. durch Obsoleszenzen) können gesteuert von dem Unternehmen an die relevanten Kunden mit allen relevanten Informationen (bspw. ersetzende Konfigurationseinheiten) übergeben werden. Der Kunde fühlt sich also beim Unternehmen rundum kompetent betreut und vollständig informiert. Dies hat ebenfalls einen positiven Effekt auf die Außendarstellung des Unternehmens.
Durch das Konfigurationsmanagement gewinnt also nicht nur das Unternehmen, sondern auch der Kunde.